Der Hass erfüllte Unterton in deinem Kopf

Da sitzt du, vor dem Bildschirm. Entzifferst mich, den Text. Was wäre wenn ich gerade für dich geschrieben worden sei. Du würdest dir ein Gegenüber vorstellen, das mich geschaffen hat. Ein Gegenüber aus Fleisch und Blut. Ein Gegenüber mit einer Biographie. Aber du weist nicht welche, wirst sie aber gleich erfinden, denn du liest mich und ziehst deine Schlüsse und dazu brauchst du ein Spiegelbild - die Biographie einer angenommenen Existenz über meinen Autor.
Du liest weiter, reibst dich an Behauptungen, die so keinesfalls stimmen. Findest Zusammenhänge, oder habe ich - der Text - sie in deinem Kopf offen gelegt, indem ich die geeigneten Knoten von deinen Neuronen gereizt und aktiviert habe. Wer weiß das schon. Die Vorgänge im Kopf des Menschen sind zu verworren, zu kompliziert und von außen nicht ohne weiteres zu entschlüsseln. Wer dies kann, kann Gedanken lesen. Zum Lesen sind Gedanken aber nicht gemacht.
Ich der Text, ich bin zum Lesen gemacht. Ein paar Symbole, die du gelernt hast zu entziffern, das nennst du lesen.
Die NSA liest mit, aber sie liest anders als du. Computerprogramme lesen anders als du. Computerprogramme ziehen keine Schlüsse, wo es nix zu entschlüsseln gibt außer Text und Syntax.
Computerprogramme können Daten filtern und anhand der gefilterten Daten Wahrscheinlichkeiten für dieses oder jenes stochastische Merkmal festlegen. Wenn sie das machen, bilden sie Cluster von Merkmalen. Verknüpft mit Personen bezogenen Daten werden aus den Cluster von Merkmalen typische Existenzen deren Verhalten vorhersehbar ist, weil bestimmte Cluster in Existenzen nach bekannten Wahrscheinlichkeiten immer jene Existenzen in bestimmter Weise agieren lassen. Dies Vorurteile zu nennen würde die echten, die lebendigen Vorurteile, in deinem Kopf herab setzen.
Denn du bist lebendig in deinen Vorurteilen. Du fühlst Liebe, Hass, Indifferenz, Macht, Ohnmacht. Dein Fühlen füllt ganze Bibliotheken und es existieren Bibliotheken gefüllt mit Texten über Gefühle. Jeder von diesen Texten ist jedoch nix weiter eine eine Aneinander-Reihung von Symbolen die zum Lesen geschrieben wurden.
Gefühle beim Lesen gibt es nur wenn ein lebendiges Wesen liest. Eine Maschine überliest jeglichen Unterton der Gefühle. Immer wenn ein Computer-Programm liest gibt es im günstigsten Falle Rechen-Aufgaben - meistens jedoch bleibt es bei trivialer Daten-Schieberei.
Du erkennst im Unterschied zur Maschine, wo der Text seinen Unterton der Gefühle entwickelt. Nicht im Text an und für sich ist der Unterton, denn dann hätten Computerprogramme Gefühle. Nur dort wo Gefühle walten, kann ein Unterton entwickelt werden.
Jedoch - ist es eine Wahrnehmung oder doch nur eine böse Unterstellung. Was wäre, wenn ich - der Text - geschrieben worden sei von einem Computerprogramm. Ein Programm dass sich Sätze aus Bibliotheken klaubt und sie nach komplizierten Algorithmen zusammen rechnet. Eine Rechenaufgabe zwar, aber solange sie unerkannt bleibt, bleibt der Unterton, den dein Gehirn herausgebildet hat, erhalten.
Und wenn dieser Unterton nun Hass erfüllt sein sollte. Sei's drum, das Gefühl findet nur in deinem Kopf statt. Für mich - den Text - und für den angenommenen Autor - das Rechen-Programm für Textgenerierung hätte dieser Unterton keine Existenz, wir könnten ihn nicht wahrnehmen, denn auch deine Gedanken sind nicht zum Lesen gemacht.
Aber was wäre wenn mein Autor kein Programm wäre, sondern ein Mensch - zum Beispiel ein Charakter deines Schlages mit einem ähnlichen Cluster von stochastischen Merkmalen. Ich - der Text - wäre in der Tat das Ergebnis eines kreativen Prozessen. Ein Prozess der vor allem getrieben wird von Gefühlen, und sei es nur eines einzigen Gefühls: Dem Erkenntnisinteresse - oder ein anderes: Liebe - oder endlich doch: Hass. Wo läge jetzt wohl ein Erkenntnis erfüllter Unterton im Text begraben? Etwa an der gleichen Stelle, an der auch der Hass erfüllte Unterton begraben sei? In der Wortwahl? Oder gar im Satzaufbau? Kannst du es wissen? Musst du es raten? Oder darfst du es einfach nur unterstellen. Immerhin ein Hass erfüllter Unterton wäre schon eine recht kühne Unterstellung! Wäre eine Verniedlichung im Text - wie etwa "Kotzbröckchen" -demnach eine liebevolle Beleidigung oder doch nur ein Hass erfüllter Unterton? Du kannst es nicht wissen und ich kann es dir nicht verraten, denn ich bin nur der Text.
Hass, Liebe, Erkenntnisinteresse können Gefühle und Gedanken im Kopf des Autors sein - müssen es aber nicht. Geäußert von Dir sind diese Gefühle nichts weiter als Unterstellungen. Wo objektiv nix ist nimmst du subjektiv einen Unterton wahr. Diese Wahrnehmung eines Untertons im Text ist der Spiegel deiner eigenen Gefühls- und Gedankenwelt. Der Unterton spielt sich allein in deinem Kopf ab.
Ich - der Text - habe die Gedanken und Gefühle des Autors nicht gelesen, denn Gedanken und Gefühle sind nicht zum Lesen gemacht. Ich kann nicht wissen, und somit nicht positiv Ausdrücken dass sie hier oder dort und ob sie überhaupt existieren. Es bleibt bei der Erkenntnis: Falls du irgendwelche Gefühle im Unterton dieses Textes wahrnimmst, sind sie nichts weiter als ein Blick in den Spiegel. Es umarmt dich liebevoll dein Text. Und wenn dir das nicht passt, hättest du den vorletzten Satz besser mal nicht gelesen.

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