Hungerlohn am Fließband

Gestern Abend fand ich die Reportage von Jürgen Rose „Hungerlohn am Fließband“ als Video-Stream auf ard.de. Ich war beeindruckt und wollte sofort allen erzählen, wie genial der Film ist. Beim Teilen in Foren und auf Facebook war mir klar, dass der Zauber in einigen Tagen vorüber sein würde, weil die ARD das Video dann vom Netz nähme. Ich denke das Material sollte nicht einfach so untergehen, deshalb fasse ich es hier zusammen.

Zusammenfassung 

der Reportage von Jürgen Rose und Klaus Harnischdörfer

Beim Nobelkarossen Hersteller in Stuttgart-Untertürkheim stehen Menschen am Band, die von ihrem Lohn nicht leben können. Premium-Produkte werden zu Hungerlöhnen erstellt. Wie kann das sein?
Am Anfang steht der Wille zum Kosten senken. Vier Milliarden will Dieter Zetsche bei Daimler einsparen und akzeptiert damit „Meinungsverschiedenheiten“ über die er sich brutal hinwegsetzt. 
Bei Daimler hat sich das Konfliktpotential offensichtlich noch nicht herumgesprochen: Erich Klemm Gesamtbetriebsrat bei Daimler weiß nichts von Dumping-Löhnen bei Daimler. Im Gegenteil, Leiharbeiter bei Daimler dürfen nicht weniger verdienen als das Stamm-Personal. Davon ist Klemm überzeugt und seine Welt ist schön.
Ein anderer Betriebsrat informiert über das Lohngefüge bei Daimler:
Stamm-Belegschaft 3400 Euro
Leiharbeiter 2600 Euro
Werkvertrags-Mitarbeiter 1200 Euro

Der Journalist Jürgen Rose recherchiert die Verhältnisse indem, er sich bei einer Zeitarbeitsfirma in Stuttgart bewirbt. Um sicherzustellen dass er bei Daimler landet gibt er sich in der Bewerbung als Daimler-Fan zu erkennen, der einmal in seinem Leben bei Daimler arbeiten will.

Die Bewerbung wird akzeptiert. Der Arbeitsvertrag ist so umfangreich, dass man Stunden bräuchte um ihn zu lesen und zu verstehen. Dennoch muss Rose sofort unterschreiben.

In Stuttgart kommt Rose in einer Pension unter. 30 Euro die Nacht. Klo und Dusche auf dem Gang. Mobiliar nicht stabil.

Roses Job bei Daimler: Zylinderköpfe sortieren und speziell verpacken für China. Am Arbeitsplatz arbeitet Rose mit Leuten zusammen, die direkt bei Daimler angestellt sind und um die 3400 Euro für die gleiche Arbeit verdienen, für die Rose knappe 1000 Euro bekommt. Ein Drittel vom Tariflohn!

Die Leiharbeitsfirma verleiht Rose an die Spedition Preymesser. Diese hat auf dem Werksgelände von Daimler ein Büro und mit Daimler einen Werkvertrag über Transportaufgaben. Um diesen Werkvertrag zu erfüllen wurde Rose ausgeliehen. Ein Mitarbeiter der Leiharbeitsfirma übergibt Rose an Preymesser in dessen Büro auf dem daimler'schen Werksgelände. Im Rahmen des Werkvertrages, der zwischen Daimler und der Spedition Preymesser existiert, wird Rose für Daimler arbeiten. Roses Vertrag mit der Leiharbeitsfirma ist jedoch nicht Teil dieses Werkvertrages zwischen Preymesser und Daimler. Roses Ansprechpartner in Vertragsfragen bleibt die Leiharbeitsfirma. Daimler hat mit Rose keinen Vertrag und somit gegenüber Rose auch keinerlei Verpflichtungen.

Regeln für einen Werkvertrag

die der Arbeitsmarktforscher Sell referiert:
  • Die Firma die den Werkvertrag eingeht hat eigene Führungskräfte
  • Es gibt kein Vermischen von Daimler-Mitarbeitern mit den Werksvertrags-Mitarbeitern
  • Daimler-Mitarbeiter geben Werkvertrags-Mitarbeiter keine direkten Anweisungen
Gegen diese Regeln wird verstoßen, als Rose in seine neue Arbeit eingeführt wird, zeigt ein Daimler-Mitarbeiter ihm wie er eine Gitterbox mit Zylinderköpfen zu befüllen hat. Dafür wäre eine Führungskraft von Preymesser zuständig. Rose arbeitet Hand in Hand mit Daimler-Mitarbeitern. 

Laut Arbeitsmarktforscher Sell hat die Ausgestaltung dieses Arbeitsverhältnisses nichts mit einem Werkvertrag zu tun, so wie er vom Gesetzgeber vorgesehen sei. Der Werkvertrags-Arbeitnehmer ist hier Teil der Stamm-Belegschaft und es handelt sich um eine unerlaubte Art der Arbeitnehmer-Überlassung. Rechtlich sei es nicht egal wer mit wem arbeitet und wer unter wessen Führung arbeitet. Wenn die Leute vor Ort Anweisungen bekommen und Eingebunden sind in die normale Tätigkeit, dann handelt es sich nicht um Werksvertrags-Arbeitnehmer, sonder um Leiharbeiter. Wenn man diese Tatbestände bei Daimler nachweisen könnte, hätte das Unternehmen ein richtig großes Problem.

Warum ignoriert der Betriebsrat diese Dinge? Rose stellt fest dass die Betriebsräte sich offensichtlich nicht zuständig fühlen für Mitarbeiter aus Fremdfirmen. Rose wundert sich warum der Betriebsrat nicht einschreitet, wenn Hunger-Löhner die Arbeit der Stamm-Belegschaft übernehmen. Steht der Betriebsrat selbst unter Druck? Betriebsrat Erich Klemm gibt im Interview zu, dass eine Gewerkschaft oder ein Betriebsrat vorsichtig sein muss. Wenn sie zu erfolgreich sind, besteht die Gefahr dass das Unternehmen ins Ausland geht. Rose hält fest, dass der Betriebsrat durch permanente Kostendiskussionen unter Druck gesetzt wird. 

Der Arbeitsmarktforscher Sell bestätigt: Gewerkschaften können durch ignorieren dieser nicht korrekten Vorgehensweisen ihre hohen Tarifabschlüsse für die verbliebene Stamm-Belegschaft retten. Indem die Stamm-Belegschaft ständig die Werkvertrags-Arbeitnehmer vor Augen haben, werden sie daran erinnert, wie die Betriebsleitung reagieren könnte, wenn ihre Lohnforderungen zu hoch werden, mehr betriebliche Mitbestimmung wollen oder nicht so spuren, wie der Arbeitgeber es gerne hätte. 

Rose stellt fest, dass im Werk 160 Preymesser-Kollegen beschäftigt sind, und 18000 in der Stamm-Belegschaft tätig sind. Er beobachtet einen dieser Kollegen, der ebenfalls Motorteile stapelt. Ein anderer Kollege ist Gabelstapler-Fahrer und Familienvater. Er bekommt 8,75 Euro die Stunde und lässt sein Einkommen durch das Job Center aufstocken. Beim Job Center lässt Rose die mögliche Aufstockung als Familienvater berechnen:

Mögliche Aufstockung

Stundenlohn 8,19
Arbeitszeit 35 Stunden die Woche
verheiratet, vier Kinder kein weiteres Einkommen
Rose wird Brutto im Monat verdienen 1242 Euro
bleiben Netto übrig 991 Euro
Aufstockung Alg II + Kindergeld 1550 Euro


Arbeitsmarktforscher Sell kommentiert: Es handelt sich hierbei um eine gigantische Subventionierung von eigentlich durch die Betriebe zu tragenden Lohnkosten durch den Steuerzahler. 8,4 Mrd Euro sind allein für Aufstockung im Jahr 2012 ausgegeben worden. Sell sieht hier Missbrauch vorliegen. Sell sieht in diesen Werkverträgen ein gefährliches Potential. Die bisher geregelten Arbeits-Verhältnisse könnten gelöst und aufgelockert werden.

Als Rose Rückenprobleme bekommt stellt er fest, dass der Betriebsarzt bei Daimler nicht für ihn zuständig ist und er kein Rückentraining bekommt, wie die Stamm-Arbeiter. Als Rose probiert sein Arbeitsverhältnis zu verbessern muss er das Arbeitsverhältnis auflösen.

Nachdem Rose bei der Leiharbeitsfirma ausgeschieden ist interviewt er nochmal den Gesamtbetriebsrat Erich Klemm und erzählt ihm von den Recherche-Ergebnissen, ohne über seine Methode zu informieren. Betriebsrat Klemm  gibt zu, das dies, falls es wahr wäre eine unzulässige Überlassung von Arbeitnehmer sei. Es wäre nicht in Ordnung und das Unternehmen müsse dies abstellen. Beim Thema Werkvertrag benötigt die Arbeitnehmer-Vertretung  allerdings die Unterstützung der Politik, Gewerkschaft und Betriebsrat allein können hier nichts verhindern.

Der Arbeitsmarktforscher Sell prognostiziert, dass hier bald vieles aus dem Ruder laufen wird, wenn wir nicht klare arbeitsmarkt-politische Signale setzen. Wenn hier keine Regelungen eingeführt werden, werden immer mehr Unternehmen dazu übergehen, diese Art der missbräuchlichen Arbeitnehmer-Überlassung zu realisieren. Damit würden wir uns den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Zur Untermauerung bemüht Sell das Bild einer unsichtbaren Hand, die alle Unternehmen in die gleiche Richtung lenken würde.

Mein Kommentar

Es gibt keinen Grund für den Betriebsrat, die Gewerkschaften, Politiker usw. die Situation mit den Dumping-Löhnern bei Daimler als Erfolg zu feiern. Erfolgreich ist eine Gewerkschaft dann, wenn sie für alle Beschäftigten bestimmte Standards durchsetzt, hält und ausbaut sobald der technische Fortschritt dies erlaubt. Richtig verkackt hat eine Gewerkschaft, wenn sie es erlaubt, dass Branchenfremde mit Dumping-Löhne eingesetzt werden, um Stammbelegschaften abzubauen.
Eine Marke wie Daimler ist in der Wahl ihres Standortes beschränkt. Ein Standortwechsel ist sehr teuer, und kann das Marken-Image beschädigen, wie das Beispiel Nokia gezeigt hat. Objektiv betrachtet ist die Drohung, die Produktion ins Ausland zu verlegen ein Bluff, auf den Politiker und Gewerkschafter (in allen Ländern) gerne reinfallen. Bei Daimler stehen 160 Werkvertrags-Mitarbeiter 180000 Stamm-Arbeiter gegenüber. Das Management hat hier einen Versuchsballon gestartet. Wird er akzeptiert, werden sie die Werkverträge zukünftig ausbauen.
Besonders arg finde ich, dass Rose bei einer Spedition angestellt war und aus Gewerkschafts-Sicht in der falschen Branche gearbeitet hat. Die Tarifabschlüsse für Spediteure sind niedriger als für Metaller.
Mein Eindruck von den Interviewten Arbeiter-Vertretern bei Daimler ist, dass diese Leute systematisch die nicht korrekten Arbeitsbedingungen ignorieren. Die Meinungsverschiedenheiten, von denen Zetsche zu Anfang sprach scheinen behoben worden zu sein.
Ich meine diese dreiste Art von Lohndumping lassen sich Arbeiter und ihre Gewerkschaften erst gefallen seit die SPD zusammen mit den Grünen den Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitgeber reguliert hat. Das Wort "de-regulieren" dass Politiker gerne benutzen war hier eine Lüge. Die Position der Arbeitnehmer wurde gezielt geschwächt, um solche Dreistigkeiten, wie sie von Rose und Hanischdörfer beschrieben wurden durchziehen zu können. Wären die Arbeiter weniger verängstigt und würden nach einer Kündigung durch den Arbeiter nicht automatisch 3 Monate Einkommenssperren vom Jobcenter gegen die Arbeiter verhängt werden, würde so eine Menschenfeindliche Produktion nicht durchgesetzt werden können.
Für mich gehört zu einem funktionierenden Mark zwei gleichberechtigte Partner, die gegenseitig ihre Interessen fair angleichen können. Auf dem Arbeitsmarkt sind diese fairen Regeln abgeschafft worden. Sozialpolitisch hat die SPD zurückgefunden zu Bismarks Positionen.
Alles wofür die Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert gekämpft hat wird von der heutigen Generation der Sozialdemokraten und Grünen verkauft. Verkauft für gute Jobs in der Russischen Gas-Industrie, Verkauft für Beteiligungen und Besitz an Leiharbeitsfirmen, verkauft für einen ordentlichen Fick in Brasilien und verkauft für einen Hunde-Schiss.

Quellen




Beliebte Posts aus diesem Blog

Windows Batch-Dateien mit Tastatur-Abfragen steuern

And every day the Ki greets you with another limerick

Kein Kommentar: Spiegel Online deaktiviert die Kommentare auf Google Plus