Hartz IV: Bundesregierung, Wirtschaftsverbände und die Bundesanstalt für Arbeit verteidigen Menschenrechtsverletzungen durch Hartz IV Sanktionen

Grafik: Peter Benwar-Wagner
Nun hat es 11 Jahre gedauert bis ein Sozialgericht endlich befand, dass die Sanktionspraxis der Jobcenter gegen Arbeitslose deren Menschenrechte verletzt. Der komplette Beschluss als PDF kann herunter geladen werden. Im Artikel "Sanktionsbefürworter begehren auf" der Jungen Welt hat Susan Bonath die wichtigsten Argumente pro und contra Sanktionen notiert:

  1. Pro Günther Richter (Thüringer Geschäftsführer vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft) : Es muss Sanktionen geben, damit der Anreiz erhalten bleibt, eine Arbeit aufzunehmen
  2. Contra Heike Werner (Die Linke): Es müsse jetzt ein Stopp der Sanktions-Praxis geben, bis die Rechtslage geklärt ist.
  3. Pro: Die Bundesregierung: Die Bundesregierung beruft sich auf ihre Ausgestaltung-Spielraum, daher müsse sie das Existenzminimum nicht bedingungslos zahlen.
  4. Contra: Das Sozialgericht Gotha beruft sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem Festgestellt wird dass die physische Existenz eines bedürftigen Menschen gesichert werden müsse. Dies sei ein unverfügbares und unantastbares Grundrecht. Fehlverhalten mindere die Bedürftigkeit nicht. 
  5. Pro: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales verweist auf Sachleistungen, die geeignet wären dieses Grundrecht auf physische Existenz zu sichern.
  6. Contra: Das Gericht: Bei 100% Sanktion liege diese Sachleistung bei 196 Euro und decke damit nicht mal das Nötigste zu Leben. Ein Verweis auf Kann-Leistungen des Staates oder Dritter sei unzulässig. Ebenso verfassungswidrig sei es Erwerbslose durch Drohungen unter Druck zu setzen.
  7. Pro: Bundesministerum für Arbeit und Soziales hält fest dass niemand Obdachlos werden müsse, da Jobcenter angehalten seien Mietrückstände zu übernehmen.
  8. Contra: Gericht dieses Verhalten der Behörde sei absurd, sie würde damit Leistungen samt Zinsen ausgleichen, die sie selbst verwehrt habe. Es widerspreche jeder Verhältnismäßigkeit, wenn Menschen durch Entzug von Lebensnotwendigem zu regel-konformen Verhalten gezwungen werden sollen.
  9. Pro:  Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit: Raimund Becker hält strafbewehrte Auflagen für eine Art Bringschuld bedürftiger an die Steuerzahler. Deren Gerechtigkeitsempfinden würde sonst Schaden leiden.

zu 1

Ich dachte immer der Anreiz der Arbeit sei der Lohn mit dem sich ein Mensch vor allen anderen hervortut und ihre Anerkennung genießt. Sanktion ist doch eher etwas für Sklaven die gängig gemacht werden müssen. Über welche Arbeitsverhältnisse spricht Günter Richter hier? Was mich besonders betrübt ist, das er ein weit verbreitetes Vorurteil benutzt um eigene Profit-Interessen zu rechtfertigen. Das Vorurteil ist: Der Mensch ist faul und tut nix wenn er nicht gezwungen wird. Zuletzt wurde es in Dauphin (Kanada) wiederlegt, als die Kanadische Regierung jedem in der Gemeinde ein Einkommen schenkt und damit tolle Erfolge erzielt, die über die Gemeinde und die Einkommens-Empfänger hinausreichen. Das Experiment wurde dann gestrichen.

zu 2

Mittlerweile hat Heike Werner (Die Linke) Gesellschaft bekommen. Auch die Kreischefin des Altenburger Landes in Thüringen, Michaele Sojka (Die Linke) fordert ein Stopp der Sanktionen bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.

zu 3

Der Ausgestaltungs-Spielraum der Bundesregierung endet dort, wo die unveräußerlichen und unantastbaren Menschenrechte der Staatsbürger beginnen. Das sollte eigentlich demokratischer Konsens sein. Wenn schon Arbeitgeber sich davor drücken die demokratischen Rechte ihrer Mitarbeiter anzuerkennen und in gewissen bereichen Sklavenverhältnisse statt Arbeitsverhältnisse wünschen, müssen demokratische Politiker ihnen nicht noch hilfreich zur Seite stehen, indem sie auf zuruf ein Sanktionssystem und Lohndumping-System installieren und so die Menschenrechte der Bevölkerung ökonomischen Verwertungsinteressen unterwerfen. Auch Kalvinisten die ein religiöses Verhältnis zur Arbeit haben fragen nach dem Sinn der Arbeit bevor es zur Sache geht, denn es gibt durchaus Inhalte und Verfahren die es Teufels sind.

zu 4

seit nunmehr 11 Jahren ertragen die ärmsten der Bevölkerung das der Staat auf ihre Kosten Lohn- und Umverteilung-Politik zugunsten einer unverschämt reichen Minderheit macht. Ich habe nie begriffen wieso von denen niemand auf die Straße gegangen ist, um für ihre Rechte einzustehen. Als es nun die Griechen, Spanier und Portugiesen getroffen hatte gingen die Menschen auf die Straße, sie wählten eine andere Regierung und die Deutsche Bundesregierung weiß genau was aus dem Spiel steht, denn sie arbeitet in keiner Weise mit den linken Regierungen zusammen, deren Vorrangiges Ziel es ist diese Menschen-Rechts-Widrige Politik gegen die Bevölkerung zu beenden. Die Missachtung der Menschenrechte und der dadurch erkaufte Produktivitätsgewinn zieht europaweit Kreise. Aber die juristischen Zusammenhänge sind weitaus komplizierter  als einfaches Bekenntnis zu den Menschenrechten (Die Justiziabilität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte im innerstaatlichen Recht (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht)
) - und es es noch längst nicht klar, wie das Bundesverfassungsgericht letztendlich entscheiden wird. Klar ist nur eines - zum politischen Ausgestaltungs-Spielraum gehört es auch zurückzuschlagen, wenn sich Kräfteverhältnisse einmal verschieben sollten.

zu 5, 6 und 7

Die Pro Sanktions-Seite lügt! Im Film "Abgestimpelt mit Hartz IV" ( YouTube - ARD ) zeigen die Autoren Thomas Reutter und Sylvia Nagel unter anderen Fällen den Fall des Wolfgang Dinse, der wegen fehlender Bewerbungsschreiben mit Sanktionen vom Jobcenter in die Obdachlosigkeit getrieben wurde. Dinse hätte die Bewerbungsschreiben ohne Hilfe nicht erledigen können, da er Analphabet ist. Nach einem Jahr als ihn die Autoren erneut besuchten hatte er einen 1-Euro-Job aber wohnte immer noch in der Obdachlosenunterkunft. Die 1-Euro-Jobs mutierten mittlerweile an gewissen Orten zu 0-Euro-Jobs, wobei es eigentlich schon ein Fulltime-Job ist mit dem Hartz IV-Regelsatz an und für sich über die Runden zu kommen. Was kommt als nächstes? Auf dem Sklavenmarkt verlosen Jobcenter-Dienstleister die Menschen an beliebige Arbeitgeber? Ist die nächste Stufe des politischen Ausgestaltungs-Spielraums der Menschenrechte ein System von Arbeitslagern mit unbezahlter Fließbandarbeit für die Industrie? Die Richtung stimmt - der echte Skandal dahinter ist, das die Wähler dieses Vorgehen ihrer Regierung akzeptieren und die letzte Instanz vor dem endgültigen Bruch der Gesellschaft mit den Menschenrechen das Bundesverfassungsgericht ist. Wie mächtig kann eine autoritäre demokratie-feindliche Tradition eigentlich sein?

zu 7, 8 und 9

Genau Punkt 7 überschneidet sich: Die Behauptung "niemand wird in die Obdachlosigkeit getrieben" hat den gleichen Wahrheitsgehalt hat das historisch Überlieferte "niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten" wird begleitet vom Umstand, das sie ein in sich widersinniges Verfahren beschreibt. Allein zum Zwecke der Sanktionierung werden Mietkosten-Hilfen gestrichen um sie angeblich im Nachhinein - und zwar bevor es zu Obdachlosigkeit gekommen ist - von der Jobcenter-Behörde zu übernehmen, inclusive aller Zinsen und Mahnkosten.

Dem Untertanen schwant es - Unverhofft kommt oft

In den Foren der sozialen Medien spiegelt sich die Freude der Menschen darüber, das nun das höchste Gericht der Bundesrepublik darüber entscheidet, was eh alle zu wissen glauben. Die Hartz IV Sanktionen widersprechen den Menschenrechten und der Verfassung dieses Landes. Es ist nett das die Leute das so sehen und sich freuen, aber es offenbart einen unglaublich tief verwurzelten Untertanengeist. Die Menschenrechte sind etwas lebendiges sie müssen permanent von den Menschen gegen Gier und Begier der Reichen und Mafiösen verteidigt werden. Das kann man nicht delegieren, dafür muss man selbst auf die Straße gehen. Also was ist wenn sich rausstellt das die Menschenrechte in Deutschland nicht juristisch einklagbar sind, sondern einem ominösen politischen Ausgestaltungs-Spielraum unterliegen? - Gehen dann alle weinen?


Beliebte Posts aus diesem Blog

Windows Batch-Dateien mit Tastatur-Abfragen steuern

And every day the Ki greets you with another limerick

Kein Kommentar: Spiegel Online deaktiviert die Kommentare auf Google Plus