Aufstand der Anständigen - Ein kurzer Überblick

Die erste Version vom "Aufstand der Anständigen" gab es im Jahr 2000 nach einem Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf. Der damalige Präsident  des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, forderte "ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Juden". Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) reagierte sofort.

  • Der Bundeskanzler besuchte in Begleitung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Paul Spiegel den Tatort.
  • und sagte dort: "Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, wegschauen ist nicht mehr erlaubt."
  • Zur Erläuterung forderte der Bundeskanzler ein Maß an Zivilcourage zu entwickeln, damit Täter nicht nur kriminalisiert, sondern auch gesellschaftlich isoliert würden.
Ich finde es auffällig, dass der Bundeskanzler die "Entwicklung von Zivilcourage" einforderte und mit gutem Beispiel voran ging. Das unterstellt ein Fehlen von Zivilcourage der Anständigen im Jahr 2000 - Aber auch eine Zuversicht, dass die Anständigen in der Mehrheit sind. Das man sich auch über die Mehrheitsverhältnisse täuschen konnte zeigt ein anderes Beispiel aus jener Zeit.

Kinder statt Inder

Im Jahr 2000 gab es eine GreenCard Initiative der Bundesregierung um Deutschland als Einwanderungsland für Wissenschaftler und IT-Fach-Kräfte, vor allem aus Indien, interessanter zu machen. Immerhin schätzte der Kandidat der CDU für den Ministerpräsidenten in NRW, Jürgen Rüttgers die fremdenfeindliche Atmosphäre in Nordrhein-Westfalen ausreichend stark ein, um im Wahlkampf mit dem populistischen Slogan "Kinder statt Inder" groß raus zu kommen. Seinen Ansatz verteidigte er auf Spiegel.de. Es ging ihm darum mehr in Bildung zu investieren, sodass Kinder und Jugendliche sich mehr für Naturwissenschaft, Technik und Informatik interessieren, anstatt aktuell aus Indien diejenigen Fachkräfte abzuziehen, die ihr Land aufbauen. Er versuchte somit, sein populistisches Argument moralisch zu rechtfertigen - und Spiegel.de ließ es ihm zu jener Zeit als "verbalen Ausrutscher" durchgehen.

Diese Gegenüberstellung - die Anständigen und die ein wenig Unanständigen aus der CDU - wird gerne gemacht - nicht zuletzt auch in "Aufstand der Anständigen - Reaktionen auf Tagesthemen-Kommentar", allerdings ist dies ein Klischee. Thilo Sarrazin ist nicht nur als Einzeltäter ein Protagonist der hetzerischen Rede in der SPD, ich denke auch sein Rückhalt in der Partei darf nicht unterschätz werden, immerhin konnte er ein Partei-Ausschluss-Verfahren unbeschadet überstehen - und er hetzt munter weiter, wurde jedoch zwischenzeitlich in der öffentlichen Wahrnehmung vom rassistischen Original längst abgehängt.

Aufstand der Anständigen - Schröder Version 2.0

Der Ex-Bundeskanzler legte letztes Jahr das gefühlte Highlight - naja, ich fühle es halt so ;-) - seiner Kanzlerschaft in Version 2.0 neu auf. Die Zeit fasst die Positionen zusammen. Diesmal wollte er einen Aufstand der Anständigen gegen Pegida. Er erinnerte an eine große Demo - 200.000 Teilnehmer, die 2000 in Berlin gegen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus protestierten. "Bundespräsident und Bundeskanzler vorneweg." Da es allerdings schon immer Gegendemos zu AfD und Pegida Veranstaltungen gegeben hatte, darf man ohne Gefahr eines Irrtums behaupten, dass diese Neuauflage seines Aufrufes eher im Sande verlief - die Anständigen hatten sich mittlerweile verselbständigt.

Aufstand der Anständigen - Tagesschau/Tagesthemen Version

Mittlerweile spielen Journalisten mit dem Motiv "Aufstand der Anständigen" und ihr Spielfeld sind die Kommentare der Tagesschau/Tagesthemen. Anja Reschke gelang es zweimal und Tamara Anthony einmal in den sozialen Medien im Internet mit ihren Kommentaren durchzudringen - und damit auch von jüngeren Menschen wahrgenommen zu werden. 
Bei Tamara Anthony ging es im Kommentar um Antisemitismus - der in Deutschland von rechten und einigen Muslimen vorgebracht wird - Zurzeit hat ihr Beitrag 5375 Likes und 5178 Shares auf Facebook. Tamara Anthony nimmt keinen Bezug auf den "Aufstand der Anständigen", aber sie kommentiert das ursprüngliche Thema, den Antisemitismus. Wer ihr zuhört, kann den Appell an die Anständigen am Ende ihres Kommentars wahrnehmen. Es geht darum den Antisemiten die Grenzen von Meinungsäußerung und Kriminalität aufzuzeigen.
Anja Reschkes letzter Kommentar, nimmt das Motiv "Aufstand der Anständigen" ausdrücklich auf, aber sie ändert die Gruppe der Opfer von Hasskommentaren und gewaltsamen Übergriffen - es geht um Fremdenfeindlichkeit gegen Flüchtlinge im Gegensatz zu den vielen Menschen die Willkommenskultur leben, indem sie sich auch ehrenamtlich engagieren. (Zurzeit 185.441 mal geliked und 199.431 mal geteilt - beide Zahlen immer noch steigend). Zu dem ursprünglichen Kommentar, gibt es noch eine Nachschau - Reaktionen auf Tagesthemen-Kommentar.
Für Anja Reschke ist es klar, dass es sich bei den Rechtsradikal Motivierten Übergriffen und Hass-Kommentaren um einen Gruppen-dynamischen Prozess handelt, der unterbrochen werden muss. Ihre Vorschläge:
  • Strafverfolgung - Die Anständigen geben der Polizei Hinweise auf Gesetzesverstöße und Beweismaterial.
  • Öffentlich an den Pranger stellen - Die Anständigen berichten öffentlich - zum Beispiel bei Facebook über Gesetzesverstöße.
Beides geschieht bereits - und ich denke es wird mit der Zeit auch gelingen, diesen Prozess der gegenseitigen Radikalisierung bei Facebook usw. zu stoppen. Wer will schon ein Kanzler krakeelen hören: "Gebt mir vier Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!

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