Nachlese zu "Beim Häuten der Zwiebel" von Günter Grass

Knapp 2 Wochen nach dem Interview, das Herr Grass dem Herrn Schirrmacher gegeben hat, und dessen Pointe Herr Schirrmacher darin sah, dass Herr Grass sich dazu bekannte als 17 jähriger Mitglied der Waffen SS gewesen zu sein, haben sich die Staubwolken verzogen, die Grass-Kritiker in folge dieser Offenbarung aufgewirbelt haben. Es muss meine Natur sein, die immer dann einen Kaufreflex auslöst, wenn’s um ein Buch besonders laut rasselt – und so kam es dass ich schon bald die Grass’sche Autobiographie vorliegen hatte. Hier ist sogleich die Frage nach dem Marketing-Kalkül für das Buch aufgeworfen, dass man Herrn Grass unterstellte, indem er drei Wochen vor der geplanten Veröffentlichung zum 1. September sich in einem Interview zu seinem Buch äußert. Na - zu was soll er sich denn sonst geäußert haben? Er hat sich in der FAZ geäußert, zu deren Zielgruppe gehöre ich nicht und da ich durchaus einige Bücher des Herrn Grass bis heute nicht gelesen habe, standen zum Zeitpunkt des Interviews die Chancen nicht schlecht, dass ich auch dieses Buch auslassen würde. Wenn jemand in der Waffen-SS war, ist das für mich keine Kaufempfehlung für sein Buch. Mein Kaufreflex sprang an, als Grass-Gegner rasselten, deren geistig moralisches Koordinatensystem zum Beispiel kompatibel ist, zu jenem des Richters, an den Herr Grass schon zu Anfang seines Buches „Beim Häuten der Zwiebel“ erinnert. Herr Grass – und wer nicht sonst noch alles? - würde sich allzu gerne aus diesem System verabschiedet haben. Das ihm das nicht als Teenager gelang und er es versäumte die „richtigen Fragen“ gestellt zu haben gehört wohl zu den wichtigeren Hinweisen in seinem Buch. Kann sich ein Einzelner überhaupt aus diesem System von geschriebenen und ungeschriebenen Verhaltensregeln lösen? Die inkompatible Gegenposition gibt’s nur innerhalb dieses Systems als Antithese. So findet man zum Faschisten der andere unterdrückt, quält und umbringt leicht den Antifaschisten der andere befreit, heilt und wieder auf die Beine hilft. Na – diese öde Schwarz-Weiß-Malerei ist Herrn Grass nicht vorzuwerfen. Was die äußeren Umstände der Waffen-SS-Mitgliedschaft angeht, gibt’s etwas zu erklären, das nur Historiker kompetent erledigen können. Es geht darum, ob in den letzten Kriegsmonaten neue Waffen-SS-Verbände ausschließlich aus Freiwilligen rekrutiert wurden, oder ob frisch ausgebildete Kriegsdienst-Verpflichtete in neue Einheiten der Waffen-SS aufgestellt wurden, um der militärischen Führung Ersatz für verlorene Einheiten zu liefern. So wie es im Buch des Herrn Grass beschrieben ist stand auf seiner Uniform „SS“ drauf und drin steckte Simplex Simplizissimus, jener Held der im Chaos des 30 jährigen Kriegs versuchte zu überleben. Das Herr Grass nicht geschossen hat wird leicht nachvollziehbar, als er schildert wie er zusammen mit einem Wehrmachtssoldaten in einer Deckung sitzt aus der heraus er einige gezielte Schüsse hätte abgeben können, bevor er niedergemacht worden wäre. In solchen Situationen schießt man nicht, sondern verpisst sicht, vor allem wenn die Deckung ein Keller ist, indem die Beiden eingesperrt wurden, weil sie bei einer Kontrolle keinen Marschbefehl vorweisen konnten. Sie wären als Fahnenflüchtige auf der Stelle erhängt worden, wenn die Russen dieses Dorf nicht eingenommen hätten. Und was ist mit den beiden Herren, die in Kriegsgefangenschaft geraten sind und im Lager beim Würfelspiel beobachtet werden. Der eine wird irgendwann mal Pabst Benedikt XVI werden und der andere wird der Nobelpreisträger Günter Grass. Zum einen schreibt die Bildzeitung „Wir sind Papst!“ – Worauf bezieht sich das „Wir“? Sollte sie nicht nach dem man sich „Beim Häuten der Zwiebel“ gefunden hat „Wir sind Grass“ getitelt haben? Na – diese Pointe hat die Bild Zeitung verpasst. Scheinbar gibt’s auch zu der Würfelspieler-Szene im Kriegesgefangenenlager historisches aufzubereiten. Die Anmaßung und Arroganz, die Grass- Kritiker in dieser Szene interpretieren, will mir nicht zu der lockeren Selbstironie mit der Herr Grass ansonsten nicht sparsam umgeht passen. Ein Beispiel das mir hierzu sofort einfällt, ist die vorstehende Unterlippe des Herrn Grass, die sich in jungen Jahren als praktisch beim Lesen erwiesen hätte, weil man damit die Haare aus dem Gesicht hat blasen können. Um den Papst-Sockel herum habe ich derartige Bonmots bisher nicht gefunden. Gefühlsmäßig stark angesprochen wurde ich von der Jazz-Club-Szene in der Louis Armstrong für 10 Minuten cool einsteigt und sich Herr Grass und seine Musikerkollegen sehr glücklich fühlen – da kullerten bei mir die Freudentränen. Die Sterbebettszene mit der Mutter konnte mich nicht zum schluchzen verleiten. Das liegt daran, dass meine Mutter noch lebt und ich Gedanken an ihren Tod arg verdränge – so erkläre ich mir dieses Phänomen jedenfalls. „Beim Häuten der Zwiebel“ kam heraus, dass die Trauer des Herrn Grass erst viel später nach dem Tod der Mutter einsetze und ich konnte dafür keine Erklärung finden. Ich habe mir für diese Nachlese einige Tage Zeit gelassen und ich denke, dass „Beim Häuten der Zwiebel“ noch länger in mir Nachhallt. Die 24 Euro waren gut angelegt.

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